Jan Svenungsson

Berger, Tobias. "1+n Schornsteine 9+n Meter hoch (n=n+l)", in: Skulpturbiennale Münsterland 2001


Der sechste Schornstein, so auch der Titel des 15 m hohen Kunstwerks von Jan Svenungsson, wird außerhalb von Emsdetten, gut 1 km vom Dorf Hembergen, am Rande eines kleinen Waldes im Frühjahr 2001 errichtet.

Anfangs fotografierte der schwedische Künstler Schornsteine nur für seine Foto-Objekte, unförmige Bilderrahmen, auf denen eingeschränkte Bildausschnitte sichtbar waren. Als Motiv für diese Rahmen diente ihm immer wieder derselbe Schornstein in Stockholm.

Der erste reale Schornstein, l0 m hoch, entstand 1992 - anläßlich der Ausstellung Rum Mellan Rum (Raum Zwischen Raum) - neben dem Moderna Museet in Stockholm. Darauffolgend entstanden Schornsteine in Taejon (Südkorea), Kotka (Finnland), Drewen bei Berlin und Norrköping (Schweden). Während der erste Schornstein nach zwei Jahren abgerissen wurde, blieben die nachfolgenden dauerhaft erhalten.

In diesen Außenskulpturen vereint Jan Svenungsson Industriearchitektur und Landschaftsarchitektur, zwei scheinbar gegensätzliche Gattungen. Durch das Hinzufügen des Schornsteins in eine Landschaft definiert der Künstler die gesamte Umgebung neu. Obwohl seine Eingriffe einen relativ geringen Raum einnehmen und nur eine kleine Stelle bebaut wird, wird die Umgebung durch diesen Eingriff zu einem Environment. Ein Bauwerk, wie ein Strich in der Landschaft, wird zum dominierenden Orientierungspunkt, der die gesamte umliegende Landschaft einnimmt und neu definiert. Dies geschieht nicht zuletzt dadurch, daß die Skulpturen niemals ortsspezifisch entwickelt werden, sondern einem eigenen System folgen: Als Baumaterial dient stets Ziegelstein, die Höhe ist durch die Anzahl der vorhergehenden Bauten vorgegeben, der aktuelle Bau ist immer einen Meter höher als der vorrausgegangene. Die Entscheidung, nicht auf den Ort einzugehen, bewußt einen autonomen Fremdkörper an verschiedene Orte dieser Welt zu setzen, ist beim Werk Jan Svenungssons das Spezifische. Schornsteine existieren auf der ganzen Welt. Das macht sie so sichtbar unsichtbar. Alleinstehende Schornsteine in der Landschaft führen jedoch zu Irritationen und damit letztendlich auch zu einer Neudefinition des Bauwerkes und dessen Umgebung.

Von der Schönheit und Vergänglichkeit der Bauten und Konstruktionen, deren Ästhetik und Lebensdauer fast ausschließlich vom Praktischen, Profanen diktiert wird, wissen wir nicht erst seit Hilla und Bernd Bechers dokumentarischer Architekturphotographie. Die Reduktion auf das Notwendigste hat, besonders als Antipode zur ornamentalen Postmoderne, im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zu einer klärenden Sicht beigetragen. Was einerseits zu eine Ästhetik des „less is more" führte, andererseits aber auch eine immer weiter fortschreitende Baumarkt(un)ästhetik hervorbrachte. Unumstritten ist, daß Industriebauten den alltäglichen Geschmack und jegliche Art von Architektur des 20. Jahrhunderts maßgeblich beeinflußt haben. Formal erinnert der Schornstein an Skulpturen der Minimal- oder der Landart. Objekte, auf reine Präsenz reduziert, werden hier zu Betrachtungs- und Orientierungspunkten. Jan Svenungssons Schornsteine können sich somit zwischen Per Kirkebys Ziegelsteinskulpturen, Michel Heizers Landartprojekten oder Walter de Marias Lightning Field verorten. Skulpturen, die durch reduzierte Form nicht nur die Landschaft beeinflussen, sondern auch dem Betrachter völlig neue Eindrücke und Orientierungsmöglichkeiten im Raum erschließen

Wenn der praktische Zweck nicht mehr existiert, das Bauwerk auf das rein Ästhetische reduziert wird, dann ist es entweder ein Kunstwerk oder ein Industriedenkmal - meist beides, denn fast jedes Denkmal ist Kunst und umgekehrt. Das Bauwerk ohne direkten Zweck wird, gleich den vielerorts entstehenden Industriedenkmälern, zu einem Ort der Erinnerung und Forschung. Das Kunstwerk Schornstein kann durch Irritation Diskussionen und Forschungen eröffnen, die diesen innewohnende Intellektuelle oder soziologische Auseinandersetzung kann als Zeichen neuen Denkens und Arbeitens gedeutet werden. Es bezeichnet den Schritt vom Industrie- zum Informationszeitalter, von rauchenden Schornsteinen zu rauchenden Köpfen.

In diesem Informationszeitalter, getrieben von dot.coms und Shareholdervalues, kommt aber das Phantastische, Ungewöhnliche, nicht in Zahlen berechenbare Irreale, Surreale oft zu kurz. Auffallend ist, daß grade der Schornstein Anfang des Jahrhunderts immer wieder auf phantastischen und surrealen Bildern auftaucht. Ob in René Magrittes paradoxen Traumbildern oder auf Giorgio de Chiricos verlassenen Plätzen. Schornsteine sind, mit ihrer Tendenz zum Phallischen, ihrer stolz rauchend dem Himmel entgegengestreckten Attitüde, nicht nur in freudiani scher Deutungsweise inhaltlich vielfach belegt. Dies, neben der Tatsache, daß Jan Svenungsson de Chiricos Roman Hebdomeros ins Schwedische übersetzt hat, zeigt das Interesse des Künstlers am Surrealismus. Durch den provozierend irrationalen Akt des Schornsteinbauens kann Jan Svenungsson so einerseits ein neues Zeitalter der nicht rauchenden Schornsteine einläuten und gleichzeitig eine poetische Kritik an einer immer rationaler werdenden Gesellschaft artikulieren. Die Tatsache, daß sich die Größe der Schornsteine jeweils einen Meter erhöht, kann als kritik an dem Ehrgeiz von Bauherren interpretiert werden, die immer höher bauen wollen, als das höchste bereits existierende Bauwerk. Ein nicht mehr enden wollendes Spektakel, welches mit den 452 m hohen, 1 Millionen qm fassenden Petronas Towers in Kuala Lumpur, Malaysia, 1997 seinen vorerst babylonischen Höhepunkt erreicht hat. Höher, schneller, weiter nicht als olympische Herausforderung, sondern als Marketing-Selbstzweck größenwahnsinniger Bauherren und Regierungen. So ernst gemeint wie die Diskussion über Sex, Marketing, Babylon oder Minimalismus sind Jan Svenungssons Schornsteine vielleicht aber doch nicht. Beinhaltet es doch einige Chuzpe, einen Schornstein in die Landschaft zu stellen. Manche finden es einfach amüsant sinnlos, andere freuen sich ober die Verärgerung einiger Spießbürger, und am Ende läßt sich auch noch herrlich darüber streiten. Da kommt für alle Seiten Freude auf - und welches Kunstwerk kann es schon sowohl mit dem träumerisch romantischen Surrealismus als auch mit dem pragmatischen Minimalismus aufnehmen?

Tobias Berger