Jan Svenungsson

Schirrmeister, Benno. "Schornstein für die Ewigkeit - wie ein schwedischer Künstler in die Landschaft bei Kyritz eingreift", in: Märkische Allgemeine, 29.3.2000


Rot, handgemauert, länglich und schmal sticht die Röhre in den bleigrauen Kyritz-Himmel. Unübersehbar fällt auch bei diesem Objekt des Künstlers Jan Svenungsson jene „industriell-phallische" Eigenart ins Auge, welche die Kunstkritikerin Maria Lind angesichts seines dritten, im finnischen Kottka errichteten Schornsteins bemerkt hatte. Kein Wunder, handelt es sich bei dem Bauwerk auf einer planen Naturfläche bei Drewen um das gleiche Motiv: Auch hier, in dem Kunstdorf unweit von Kyritz, hat der schwedische Künstler und Fotograf einen Fabrikschlot errrichtet. 13 Meter hoch ragt das funktionslose Bauwerk auf, exakt einen Meter höher als sein Vorgänger und einen Meter niedriger als sein Nachfolger, der freilich schon im Vorjahr im Binnenwasser Norrköpings eingeweiht wurde. Der erste Objekt der bislang fünfteiligen Serie, 10 Meter hoch, stand von 1992 bis 1994 in Stockholm, der zweite war ein Beitrag zur Expo in Taejon, Korea.

Schornsteine, denkt man und zuckt mit den Achseln. Warum nicht? Seit Marcel Duchamp mit seinem Flaschentrockner die Gattung des ready made in die moderne Kunst einführte, spätestens aber, seit der italienische arte-povera Botschafter Mario Merz Iglus baut, kann so etwas nicht mehr verwundern. Selbst, wenn der Kamin auf einer Kuhweide besonders malerisch und so platziert ist, dass sich der Gedanke, das steile Ding habe jemals einen Nutzwert gehabt, von vornherein verbietet.
Aber Svenungsson will auch gar nicht provozieren oder überraschen. Im Gegenteil. Wer das Örtchen Drewen unvorbereitet passiert, wird das merkwürdige Objekt gar nicht bemerken: Es steht versteckt, etwas abseits links der Straße, die von Kyritz nach Drewen führt. Eine Kurve lenkt alle Aufmerksamkeit von der Landschaft ab. Doch wenn sie weder die Blicke anzieht, noch schockiert, was dann fasziniert an Svenungssons Kunst?

Zum Beispiel, dass sie etwas Obsessives hat. Von dieser Qualität kann man sich durch eine begleitende Ausstellung im Kunstraum Neuruppin überzeugen. Zeichnungen, eine Bronze-Miniatur, Farb-Holzschnitte und Fotografien von dem immer gleichen Motiv: Schornsteine. Eigentlich ist es sogar stets derselbe Schornstein, unterschiedlich positioniert, aus verschiedenen Perspektiven betrachtet, durch diverse Reproduktions-Techniken verfremdet. Die Exponate dokumentieren eine Arbeit, die sich über 14 Jahre erstreckte. Obsessive Visionen.

Nur in Drewen selbst erfährt man jedoch, dass Jan Svenungssons Schlot ohne Fabrik auf subtile Art die Wahrnehmung verunsichert. Nicht nur, weil das in der Neuruppiner Schau als Postkarte erhältliche Foto des Rauchfangs von Drewen vier Jahre vor dessen Bau aufgenommen wurde - als hätte die Ansicht die Sehenswürdigkeit erst geschaffen. Massiveren Schwindel, als die Fotomontage ruft aber ausgerechnet die scheinbar beruhigende Ausführung des Projekts in ewigkeitstauglichem Backstein hervor.
Wer ganz nah herantritt und sich tastend Gewissheit über die gemauerte Wertarbeit verschafft, bemerkt im selben Augenblick, dass seine Füße in einen morastigen Torfboden einsinken, auf dem eigentlich nie etwas Solides hätte gebaut werden können.

Man beginnt, an eine moderne Version der Sage von der untergegangenen Stadt Vineta zu glauben: Vielleicht ist Svenungssons Kamin ja das Relikt einer versunkenen Fabrik. In jedem Fall hebt er die klare Trennung von Wirklichkeit und Fiktion, Rahmen und Bild auf. Denn das Ding steht, real und unmöglich zugleich, auf einem Terrain, das so unsicher ist wie ein Traum - und so alltäglich wie eine Kuhwiese. Nein, eigentlich ist die Landschaft jetzt keine Weide mehr: Sie ist ein Feld freier Assoziationen, die friedlich um einen Schlot grasen. Ein Schornstein, das erfährt man in Drewen, kann auch ein Zauberstab sein.

Benno Schirrmeister