Jan Svenungsson

Bushart, Magdalena. (quote from) "Unzeitgemäß zeitgemäß – Hoch- und Tiefdrucktechniken in der Kunst der Gegenwart", in: Unzeitgemässe Techniken – Historische Narrative, Künstlerischer Verfahren, Böhlau Verlag, 2019


(...) In einem Dialog mit Tom Nicholson betonte Svenungsson nicht nur, wie viel Zeit ihn das Schneiden gekostet habe, sondern erwähnte auch seine Leidenschaft für körperliche Arbeit, weil sie den Geist entspanne.47 Expliziter noch nahm er zu diesem Aspekt in einem Text über seinen Künstlerkollegen Thomas Kilpper Stellung:

Bilder in Holz und Linoleum zu schneiden ist konkret und bedeutet Arbeit im traditionellen, fast romantischen Sinne. Muskelstärke und präzise motorische Sensibilität sind notwendig. Werden die Bilder standortspezifisch geschnitten, sind sie fest in das Material eingebunden. Ehrlich. Jedes Zeichen ist die unmittelbare physische Spur einer entschiedenen Handlung, eine Spur von Anwesenheit und Engagement.48

Anders als Kilpper, der seine Holzschnitte vorzugsweise in die Parkettböden von Abrisshäusern schneidet, arbeitete Svenungsson in seiner Druckgrafik zwar nicht (oder nur in einem übertragenen Sinne) standortbezogen. Dennoch dürfte das Lob auf die physische Präsenz des Künstlers im Werk auch der eigenen Erfahrung geschuldet sein. Körperliche Arbeit spielte in dem Schornsteinprojekt insgesamt eine zentrale Rolle — auch bei den Skulpturen.49 Die Kehrseite des Plädoyers für handwerkliche Fertigkeiten, Anwesenheit und Engagement ist, wie kaum anders zu erwarten, eine Kulturkritik, die den zeitgenössi­schen Kunstbetrieb in den Blick nimmt. So verband Svenungsson 2013 die Frage nach dem Stellenwert des Holzschnitts mit einem polemischen Rundumschlag gegen Szenegrößen wie „Damien" (Hirst), „Jeff" (Koons) und „Takashi" (Murakami) mitsamt ihrem Ahnherrn im Geiste, Marcel Duchamp:

Today, what sensible person wants to carve a picture as a relief into a block of wood, smear it with paint and press it against paper in order to create a two-dimensional image? Is it not absurd? We have the Internet, Facebook and Instagram. Everything can be published instantly! Why take detours? An inkjet printer is so much more precise. It can print the same image ad infinitum with­out deviations. I want to avoid any errors! I love my digital camera! It is so wonderful to be able to take an unlimited number of exposures, not to mention the retouching. Everything can be corrected, thanks to my computer, finally! What would I do without it? How would Damien and Jeff and Takashi survive without any of the above? How would they create their global brands? Thanks Marcel, and all the rest of you, for the insight that art is nothing more than what we say it is. I have my ideas. The world is full of technical possibilities. You just have to make up your mind.50

Umgekehrt heißt das: Wenn in der zeitgenössischen Kunst ein Konzept propagiert wird, das der materiellen Existenz des Artefakts weniger Bedeutung zumisst als der Entwicklung einer Idee; wenn die technischen Möglichkeiten unseres digitalen Zeitalters die Produk­tion von Kunstwerken so dominieren, dass der Unterschied zu anderen Formen der Pro­duktion verschwindet; wenn die Perfektion der Maschine gegen die Unzulänglichkeit der Hand ausgespielt wird; wenn Authentizität eine Frage eines Aushandlungsprozesses wird, in dem die Künstier_innen nicht mehr als schöpferisch handelnde Individuen, sondern als Marke auftreten: dann wird Eigenhändigkeit zu einer besonderen Qualität, zeigt sich Unregelmäßigkeiten die Lust am Experiment, ermöglicht physische Präsenz einen emotionalen Zugang zum Kunstwerk. Svenungsson redet dabei keineswegs einer Verklärung der Vergangenheit das Wort. Vielmehr geht es ihm darum, den Holzschnitt als ernstzuneh­mende Option für die aktuelle Kunst zu würdigen, obwohl ihn seine Eigenschaften in Widerspruch zu einer beschleunigten, durchrationalisierten und -technisierten Gegenwart bringen: „After technological and content-based hierarchies have collapsed only one ove­rarching technique in art remains: that which aims to generate attention."51
(...)
Magdalena Bushart