Jan Svenungsson

“Sich Appropriation Art aneignen”, in catalogue: RE:discover/create – the Art of Appropriation, Vienna 2023.



Ich erinnere mich noch daran, wie ich zum ersten Mal von sogenannter Appropriation Art hörte. Es gab Richard Prince, einen Trickser in New York, der sein Oeuvre in einem Diamagazin herumtrug. Es bestand aus Reproduktionsfotos von Marlboro Man-Werbungen. Er fügte nichts hinzu, sondern übernahm einfach diese kommerziellen Fotos und behauptete, sie seien seine eigenen Kunstwerke.  Es gab auch Sherrie Levine, die Walker Evans ergreifende Fotos von armen Menschen im amerikanischen Westen in der Depressionszeit nachfotografierte und Kopien von Miro oder Mondrian aus Büchern malte, und zwar in genau der gleichen Größe wie die verwendeten Reproduktionen. Gemeinsam mit vielen anderen Künstler:innen ihrer Generation – Levine wurde 1947 und Prince 1949 geboren – bekannten sie sich zu einer kritischen Praxis. Sie hinterfragten, wie die Authentizität eines Kunstwerks konstruiert wird und warum die Originalität des Werks vom Kunstsystem und allen, die sich für Kunst interessieren, fetischisiert wird (oder besser: wurde).

Der Akt, Bilder anderer Künstler und Künstlerinnen anzuschauen und sich von ihnen inspirieren zu lassen, hat eine lange Geschichte vor Prince und Levine. Künstler:innen haben sich schon immer mit Kunst beschäftigt. Sie haben sich Ideen und Haltungen ausgeliehen, um ihre eigenen zu entwickeln. Sie haben von den Meister:innen der Vergangenheit gelernt. Sie haben deren Werke in Museen kopiert, um selbst zur Meisterschaft zu gelangen. Dann kam die Moderne. Anstatt in der Vergangenheit nach Vorbildern und Wissen zu suchen, begannen Künstler:innen, die Welt um sie herum und sogar die Zukunft zu betrachten. Die Bandbreite der Themen wurde stark erweitert. Die Sprache wurde zu einem Werkzeug der bildenden Kunst. Readymades entstanden.  Alle möglichen Idealismen, nicht alle von ihnen wohlwollend, konkurrierten um die Aufmerksamkeit. Irgendwann hatte der Idealismus ausgedient und das Präfix „post-” begann seinen Siegeszug durch alle Formen der Kultur. Eine Zeit lang gab es eine idealistische Atempause, als sich das Internet als kulturelle Kraft etablierte. Nachdem dies mit überwältigendem Erfolg gelungen war, erschien Post-Internet Art bald als allumfassende Bezeichnung für alles, was man darunter verstehen wollte.

Inzwischen ist die einst hochtrabende Praxis, sich die Arbeit anderer anzueignen und sie für sich selbst zu beanspruchen, zu einer zentralen Methode der heutigen Praxis geworden, oft ohne irgendeinen Gedanken zu hegen. Die Fülle des digital verbreiteten Quellenmaterials ist einfach zu verlockend. Heute screenshottet Prince Instagram-Posts von Prominenten, wenn er nicht schamlose Bilder von Krankenschwestern malt. Levine hingegen bleibt in ihrer Kunst über die Kunst anspruchsvoll. Aber zu welchem Zweck? Und all die anderen? Alles ist möglich. Auf nichts wird herabgeschaut. Oder sollte das andersherum sein? Die Idee, Künstler:in zu sein, kann auch appropriiert werden. Heutzutage wird die Meisterschaft eines Künstlers oder einer Künstlerin viel mehr durch die Fähigkeit definiert, verschiedene Medien zu nutzen, um eine Markenpersönlichkeit aufzubauen, als dadurch, wie genau er oder sie ihr Handwerk betreibt. Wenn ein Projekt die Aneignung einer Handlung, eines Bildes oder einer Idee erfordert, können Assistent:innen die eigentliche Ausführung übernehmen. Somit findet ein doppelter Akt von Aneignung statt.

Das ist alles sehr verworren und ich bin gespannt, wohin das führen wird. Die Authentizität und Originalität von Kunstwerken – oder auch von Texten – ist heute mehr denn je ein Thema, das hinterfragt werden muss, wenn der Name des Assistenten, der die kreative Kombination von Formen oder Wörtern durchführt, Dall-E oder ChatGPT lautet. Vielleicht werden wir eines Tages erkennen, dass dies der Moment war, in dem das Präfix post- durch pre- ersetzt wurde. 



Jan Svenungsson