Jan Svenungsson

Steiger-Moser, Susanna. "Schornsteinkünstler", in: "Schornsteinkünstler" – Stadt, Wald, Feld, Park, Flüss, museum für baukultur neutal, 2009


Das Museum für Baukultur Neutal existiert seit nunmehr vier Jahren in der kleinen mittelburgenländischen Gemeinde Neutal. Eine Gemeinde, die heute von Industrie-, Technologie- und Fortbildungsarealen geprägt ist. Doch noch vor weniger als sechzig Jahren lebte der Großteil der damals tausend Personen in der Gemeinde von jenen Einkommen, die die Männer als Familienerhalter in einem Beruf verdienten, der heute am Aussterben ist – dem Beruf der Ofen- und Kaminmaurer. Die heutige Berufs- bezeichnung „Feuerungsmaurer“ weist auf den Wandel des Berufes hin – der Schwerpunkt liegt auf Ofenbau in den Betrieben der Schwer-, Verbrennungs- und chemischen Industrie.

Der Beruf der Kaminmaurer ist jedoch ein Beruf, der eng mit der Industriellen Revolution verbunden und daher schon fast zweihundert Jahre alt ist. Schon Leibniz hat in seinem handschriftlichen Nachlass Gedanken zum Erklettern von Schornsteinen fest gehalten. In den Vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurden aus technischen Gründen Überlegungen entwickelt, wie bestehende Schornsteine repariert werden könnten, ohne den laufenden Betrieb zu stören oder gar einstellen zu müssen. Die „steeplejacks“ (eig. „Turmarbeiter“) in den Industriegebieten der englischen Monarchie waren Meister im Erklettern, Ausbessern, Einbinden, Geraderichten, Umstürzen und Aufhöhen der Kamine mit geringsten Hilfsmitteln und ohne Betriebsstörung.

1866 übernahm dann Friedrich Ebeling erst in Bernburg, später in Leipzig die führende Rolle als Anbieter derartiger Ausführungen und machte für seine Arbeiter Werbung, indem er sie und auch sich selbst als „Schornsteinkünstler“ bezeichnete. Die deutsche Firma Custodis eröffnete in Österreich eine Niederlassung und der österreichische Maurermeister Gussenbauer spezialisierte sich Ende des 19. Jahrhunderts auf die Errichtung von Industrieschornsteinen. Die österreichischen „Kaminmaurer“ waren bald in ganz Europa gefragt. Dadurch und durch verschiedene andere Bedingungen (das Museum für Baukultur erzählt davon) wurden die Gemeinden Neutal, Ritzing und Sigless zur Heimat des Berufes der Kamin- und Ofenmaurer. Heute arbeiten die Feuerungsmaurer weltweit, wenn es auch viel weniger als früher sind.

Allein schon in der unterschiedlichen Verwendung der Termini „Kamin – Schornstein – Rauchfang – Schlot – Esse“ werden Funktions- und Sprachunterschiede im deutschen Sprachraum klar. In Österreich werden die Rauchabzüge privater Haushalte als „Rauchfänge“ bezeichnet. Wir denken bei Kamin eher an die wohlige Wärme eines lodernden Feuers eines Wohnzimmerkamins als an Industriekamine. So wandelte sich auch die Berufsbezeichnung von Fabrikschornstein- und Kesselmaurer über Ofen- und Kaminmaurer zur jetzigen Bezeichnung als Feuerungsmaurer.

Die Ausstellung gemeinsam mit Jan Svenungsson aus Schweden unter dem Titel „Schornsteinkünstler“ verfolgt damit genau dieses Ziel: Ein Künstler setzt sich in seiner Arbeit unter vielen anderen Aspekten auch mit dem Arbeitsobjekt der Kaminmaurer auseinander – dem Schornstein. Svenungsson präsentiert nun einige seiner Werke in einem Museum, in dem die Geschichte jener Männer erzählt wird, deren Leben, deren Arbeit und deren Familien vom Bauobjekt des Kamines/des Schornsteines geprägt wurde. Für den Kaminmaurer ist der Kamin/Schornstein ein Arbeitsauftrag, seine Arbeitsstätte, eine Möglichkeit, mehr Geld zu verdienen, indem man in Kauf nimmt, sich großen Belastungen und Gefahren auszusetzen. Die Errichtung eines Kamins ist für den Arbeiter in erster Linie eine „Arbeit“, die ihm zu verrichten aufgetragen wird. Sie besteht aber nicht nur im „Errichten“ sondern auch im Reparieren, Ausbessern, Abtragen von unerwünschten Ablagerungen und im Niederreißen, Sprengen von Kaminen. Die Arbeit am Kamin hat manchem Arbeiter das Leben gekostet, viele leiden an typischen Berufskrankheiten wie Silikose oder an den Folgen von Verletzungen, die sie beim Sturz von Kaminen erlitten haben. Trotz der Gefahren und der enormen Belastung sind die Arbeiter stolz – ihre Arbeit hat beigetragen zur Industriegeschichte. Bevor ein Werk seinen Betrieb aufnimmt, ist ihre Arbeit notwendig – in der Stahlindustrie, in der chemischen Industrie, in Verbrennungsanlagen und vielen anderen industriellen Zweigen. Der Kamin ist stets verbunden mit einer industriellen Anlage. Der Künstler sieht den Kamin losgelöst von seiner Funktion als Rauchabzug einer Industrieanlage – er abstrahiert.

Im Museum für Baukultur Neutal wird die Geschichte dieses Berufes ebenso wie jene der burgenländischen Bauarbeiter, der Gemeinde Neutal und des Landes Burgenland über mehr als zweihundert Jahre in einer Form dargestellt, die den Besucher einlädt, Ereignisse und Entwicklungen aus verschiedenen Standpunkten zu betrachten. Der Name selbst „muba-Museum für Baukultur“ enthält schon ein Detail der Darstellung – das Spiel mit Worten und deren vielschichtiger Bedeutung. Die Kurzform „muba“ für Museum für Baukultur lädt ein, neue Assoziationen zur Abkürzung zu finden: Madln und Buam arbeiten, Maurer- und Bauarbeiter usw. Die Wahl der Bezeichnung „Baukultur“, sonst eher im architektonischen Sinn verwendet, ist ebenso zu erklären: „Bauen“ ist ein elementares Grundbedürfnis jedes Menschen – das Kleinkind baut seinen Turm, der Erwachsene baut sein Haus bzw. lässt es bauen. „Kultur“ (vom lateinischen „cultura“) wurde einerseits im Sinne von Felderbau, Bodenkultur verwendet, anderseits im Sinne der Pflege der geistigen Güter. Eine Darstellung in einem unfassenden philosophischen Begriff - diese Betrachtungsweise zieht sich durch das Museum ebenso wie die Betrachtungsweise eines Themas von vielen verschiedenen Standpunkten. Jeder sieht eine Entwicklung von seinem Standpunkt aus. Unsere Geschichte hat viele verschiedene Facetten.

Das Museum für Baukultur sieht sich neben vielen anderen Zielen auch als Plattform zur Begegnung zwischen Künstlern und Museumsbesuchern. Wir laden Künstler zu Ausstellungen ein, mit deren Arbeiten wir eine inhaltliche Verbindung mit unseren Themen herstellen können. Kunst ist eine Form der Darstellung im Museum. Es ist so möglich, manche Themen in einer Weise zu präsentieren, die dem Besucher einen ungewohnten Zugang zum Thema erlauben.

Ein Spiel für den Besucher kann beginnen, das zur Beschäftigung herausfordert: – mit der Arbeit der Kaminmaurer und deren Auftraggeber – ein Funktionsobjekt mit unterschiedlichen Bedeutungen, – mit dem Werk eines Künstlers, der mit dem Bau von Kaminen herausfordert.

Fotografien und Zeichnungen von Kaminen, deren Unterschiedlichkeit nicht größer sein könnte, treten im Museum in einen interessanten Kontext.

Das Schornsteinschaffen von Jan Svenungsson ist einerseits eine Bild-Arbeit, andererseits eine Hand-Arbeit, wenn er seine Bilder baut. Seine Kamine baut er mit Bauarbeitern, fungiert dabei als „Handlanger“. Er baut die Kamine in alter Ziegeltradition und trägt so die Tradition des Berufes der Kaminmaurer weiter, wenn auch mit anderen Intentionen. Die „Schornstein-Arbeit“ von Jan Svenungsson soll als Katalysator unterschiedlicher Geschichten und Vorstellungen (der Zuschauer) fungieren. Die Schornsteinarbeiten der burgenländischen Kaminmaurer erzählen aus dem Leben und der Geschichte.

Ambiguität von Synonymen - das Spiel der Doppelsinnigkeit und Mehrdeutigkeit mit Begriffen, die das gleiche bezeichnen. Der Besucher ist eingeladen, diese Geschichten auf zu nehmen, neue zu erfinden, sie weiter zugeben und zu reflektieren. Er bekommt nun die Möglichkeit die verschiedensten Aspekte kennen zu lernen und mit seinem Wissen über Kamine zu verbinden. Positive und negative Aspekte erscheinen. Die rauchenden Schlote/Kamine/Schornsteine waren für lange Zeit ein Symbol des industriellen Aufschwungs im positiven Sinn. Heute sind sie ein Symbol für den Umgang mit unserer Umwelt aber auch für jenen mit unserer Vergangenheit. Als unübersehbare Anlagen der Menschenvernichtung waren sie lange totgeschwiegen worden. Es gibt kaum Unterlagen über den Bau von Kaminen in nationalsozialistischen Konzentrationslagern.

Der Besucher im Museum für Baukultur Neutal kann sich durch die gemeinsame Präsentation der Werke von Jan Svenungsson und den Werken der burgenländischen Kaminarbeiter einlassen auf eine Auseinandersetzung zwischen Kunstobjekt und Arbeitsobjekt und auf seine persönliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, mit der Berührung zwischen Kunst und handwerklicher Fähigkeit, technischem Wissen, dessen Umsetzung und künstlerischer Interpretationen.

Susanna Steiger-Moser

 Appendix. Kommentare von Schornsteinmaurern bei Fahrten durch Österreich:

– „den hab ich gebaut”
– „ich war in jedem Kamin in Österreich“
– „dort, war ich auch oben“
– „Wenn du in den Kamin schaust, und du siehst alles gelb, weißt du, wie viel Schwefel dich erwartet.“
– „ich habe heute noch vor Augen, wie ich aus siebzehn Meter Höhe in die Tiefe stürzte“
– „Als erstes klopfst mit einem schweren Hammer an die Innenseite und gehst schnell hinaus. Alles was locker ist, fällt herunter. Bleibst drin, kriegst du das am Kopf!“
– „1984 hab ich in Syrien einen Kamin repariert, den hat 1976 ein Neutaler gebaut“