Jan Svenungsson

Heymer, Kay. "Schornsteine",

in: Schornsteinarbeit, Kunstverein Recklinghausen 1998


Der erste Schornstein im Werk von Jan Svenungsson erscheint in mehreren "Foto-Objekten" der späten 80er Jahre. Es handelt sich um einen alten Ziegelschornstein in Stockholm, der als Motiv für unterschiedliche, teils mehrteilige Foto-Objekte diente. Ein und derselbe Schornstein erscheint in diesen Arbeiten auf sehr unterschiedliche Weise. Das Bild eines Schornsteins geht auf die Traumwelt des italienischen Malers Giorgio de Chirico zurück, die für Jan Svenungsson vorbildhafte Züge aufweist. Wie für den Italiener ist der Schornstein auch für Jan Svenungsson eines jener Motive, die ihn verfolgen und die er obsessiv für neue Bilder einsetzt.

Der erste "reale" Schornstein wurde für die Ausstellung Rum Mellan Rum (Raum Zwischen Raum) 1992 im Moderna Museet Stockholm gebaut. Im Rahmen dieser Gruppenausstellung rekonstruierte Svenungsson eine frühere Einzelausstellung, indem er innerhalb des Museumsraumes den Raum der Pariser Galerie nachbauen ließ, in dem er acht Foto-Objekte mit dem Bild des alten Stockholmer Schornsteins gezeigt hatte. Der Raum im Moderna Museet enthielt also eine begehbare weiße Zelle, in der eine frühere Ausstellung im Maßstab 1:1 abgebildet wurde. Gleichzeitig konnte man im Raum des Museums diese Zelle sehen und aus dem Fenster blicken. Angesichts dieser Situation verspürte der Künstler den unbändigen Wunsch, einen Ausblick auf einen Schornstein durch das Fenster des Museums sehen zu können, der die Rekonstruktion der vergangenen Ausstellung und ihr Leitmotiv zeigen könne. Der Anlaß für den Bau des ersten "realen" Schornsteins im Werk von Jan Svenungsson war also ein Bild.

Folgerichtig sind die bisher entstandenen drei "realen" Schornsteine keine Schornsteine, sondern Bilder von Schornsteinen. Sie sind reine Formen, rauchen niemals und sind vollkommen geschlossen. Sie sind zugleich reale, dreidimensionale Objekte. Ihre Herstellung erfolgte unter Mitwirkung professioneller Maurer, die die Regeln des Schornsteinbauens beherrschen. Ihr Herstellungsverfahren ist heute bereits "historisch", denn moderne Schornsteine werden nicht mehr aus Ziegeln gebaut. Svenungssons Schornsteine können nicht unter die Kategorie der Skulptur gefaßt werden. Sie sind konkrete Erscheinungen von Schornsteinen, und diese widersprüchliche Existenzform begründet ihre verstörende Kraft. Svenungsson hat die Plazierung der "realen" Schornsteine genau überlegt, doch nicht im Hinblick auf eine skulpturale Definition des Raumes, sondern im Hinblick auf die bildhafte Wirkung der Erscheinung des Schornsteins an einem Ort, dem Schornsteine eigentlich fremd sind. Die tatsächliche Ausführung des "realen" Schornsteins erfolgt nach der Herstellung eines Bildes, in dem der Schornstein bereits an seinem Ort zu sehen ist. Der Schornstein ist bereits als Bild vorhanden, ehe er in der Realität erscheint. Die Vorherrschaft des Bildes vom Schornstein erlaubt sein Erscheinen ebenso wie sein Verschwinden. Als Bild überlebt er in jedem Fall.

Das Bild des Schornsteins erscheint im Werk von Jan Svenungsson in sämtlichen verschiedenen Medien, deren sich der Künstler bedient: in Fotografien, im Video, im Internet, als Zeichnung, als Radierung, als Farbholzschnitt und mit Ölfarbe gemalt, als "realer" Schornstein und als kleinformatiger Bronzeguß nach einem Tonmodell. Alle diese Erscheinungsformen des Schornsteins sind Bilder, bei deren Anschauung die Frage offenbleibt, was der Ursprung des Schornsteins ist. Jan Svenungsson fragt in seinem gesamten Werk nach dem Verhältnis zwischen dem "Original" und der "Kopie", dem Urbild und dem Abbild. Auch mit dem Bild des Schornsteins geht der Künstler dieser zentralen Frage nach seiner und unserer Realität nach. Daß das Urbild aus der Vorstellung des Künstlers stammt und eigentlich ein Traumbild in bester surrealistischer Tradition ist, macht seine Frage nur noch doppelbödiger und drängender.

Kay Heymer, Bonn, 22. Juni 1998