Jan Svenungsson

Haase, Amine. "Wie ein Paradox aus Ziegelstein",

in: Kölner Stadt-Anzeiger, 16-17.11.2002


„Ich bin nicht Maler, Fotograf oder Bildhauer. Ich bin ein Künstler, der mit Ideen arbeitet, die dadurch Gestalt annehmen, dass ich mich für Momente zum Maler, Fotografen oder Bildhauer mache. Durch diese Arbeitsteilung entsteht eine innere Dynamik in dem Kunstwerk: Die formale Präzisierung der Idee ist dabei nicht notwendigerweise mit der emotionalen Forderung der Ausführung zu vereinen, und umgekehrt.“ Das sagt Jan Svenungsson über sich, 1961 in Lund/Schweden geboren, heute in Berlin ansässig. Und offenbar ist das Paradox auch sein Mittel zu Erkenntnis — wie bei so vielen Künstlern, die zu den interessantesten gehören. Interessant, weil sie sowohl das eine (Konkrete? Formale?) wie das andere (Unbestimmte? Emotionale?) sind und wollen, und man sie so nie ganz fassen kann.

Eine Seite seines Janusgesichtes zeigt Svenungsson derzeit in der Galerie Werner Klein. „Schornsteinarbeit“ heißt die Ausstellung und kündigt „Photografie und Zeichnung“ an. Schornstein? Tatsächlich befasst Svenungsson sich seit zehn Jahren (u.a.) mit diesem Motiv. Er fotografierte alte Industrieschornsteine aus Ziegelsteinen und isolierte sie in Rahmen, die wie Särge wirken können. Und er hörte sich die Deutungsversuche des Publikums an — von Freud’scher Phallus-Symbolik über Industrie-Denkmal-Feier bis zu Holocaust-Assoziationen. Er baut Schomsteine mit Hilfe von spezialisierten Maurern. Und er stellte fest, dass sie trotz ihrer Höhe (der erste war zehn Meter hoch und jeder folgende wurde um einen Meter höher) quasi unsichtbar blieben - weil die Menschen sie nicht als Kunst erkannten. Er fotografiert die von ihm vor ein Haus, an einen Waldrand, in einen Wasserlauf gestellten Schornsteine - und macht sie so sichtbar als Kunstwerke.

Immer wieder auch zeichnet Svenungsson Schornsteine. In den Zeichnungen mutieren die sonst so rational und fest gemauerten Schomsteine zu den merkwürdigsten Erscheinungen. Und sie belegen die — beim ersten Hören erstaunliche — Äußerung des Künstlers: Schornsteine als solche interessierten ihn nicht. Was aber interessiert ihn dann an diesem von dem „Metaphysiker” Giorgio De Chirico so gern gemalten Gebilde? Die hochaufragende Banalität der Form, die Schlichtheit des Zeichens, das sich dennoch so vielschichtig deuten lässt? Oder ist es das Konzept? Das heißt, zum einen die Variationsbreite der Möglichkeiten, diese Form real in die Wirklichkeit zu setzen wobei sich nicht die gemauerte Form, sondern die Realität zu verändern scheint. Zum anderen die schier unbegrenzten zeichnerischen Darstellungsvarianten; bei Werner Klein ist sogar ein horizontal „beerdigter“ Schornstein zu sehen (siehe Abbildung) und ein offenbar in einer Explosion zerrissener Doppel-Schornstein.

Es sind die friedlich rauchenden Schlote, die jene Verbindung zwischen Erde und Himmel in Erinnerung bringen, die auch zwischen dem Realitätssinn einer Konzeptkunst und dem Traumhaften eines Surrealismus existiert. Und zwischen Ordnung und Freiheit entzieht sich Svenungssons Kunst dem Zugriff einer definitiven Deutung - wie er es ausdrückt: Es geht um einen Konflikt zwischen „der Lust zum Chaos“ und „dem Willen zur Kontrolle“. Ihn interessieren eben nicht Schornsteine, dafür aber „Systeme“. Selbst scheinbar perfekte Systeme können zusammenbrechen— und was dann passiert, ist unberechenbar. Künstler sein ist ein selbstmörderisches Untemehmen; was könnte diese Feststellung besser belegen als das unerbittliche Erproben offenbar perfekter Systeme?

Übrigens: In Köln entstanden mit die ersten Schornstein-Fotografien; sollte sich da nicht ein schöner Ort für einen von Svenungssons gemauerten Schornsteine finden? Wird es seine nächste Schornsteinarbeit, dann soll er 16 m hoch aufragen.

Amine Haase