Jan Svenungsson

Heymer, Kay. "Blut auf Holz, oder was?", unpublished text, 1993



In dem Jahr zwischen August 1992 und August 1993 hat Jan Svenungsson eine bemerkenswerte Reihe von Bildern gemalt, die eine Reihe von Fragen heutiger Malerei berühren. Es scheinen Blutflecken zu sein, die auf eine ähnliche Weise zustandegekommen sind wie drippings oder Schüttbilder. Damit verweisen sie auf eine Tradition von Bildern, die dezidierte Ausdrucksgehalte mitteilen und den Betrachter durch ihre Ausdruckskraft in Unruhe versetzen sollen. Diese Tradition ist idealistisch und erscheint heute naiv hinsichtlich ihres optimistischen Glaubens an die Mitteilungskraft bildlicher Botschaften. Das Schockierende der Thematik des Blutes wurde von österreichischen Künstlern, vor allem von Hermann Nitsch, bereits ausführlich ausgeweidet. Wie ernst Nitsch die Ausdruckskraft seiner Schüttbilder nimmt, erhellt etwa diese Äußerung über die Bedeutung der Farbe in seinen Bildern: "Nicht umsonst ist Rot die intensivste Farbe, die ich kenne, ist Rot die Farbe, die am intensivsten zur Registration reizt, weil sie die Farbe des Lebens und des Todes gleichzeitig ist."(1) Nitsch ist ein religiöser Künstler. Die Bilder von Jan Svenungsson wären unbedeutend, würden sie sich dieser Bildertradition des kathartischen Schocks anschließen.

Es ist notwendig, diese Bilder genau zu betrachten. Der anfängliche Schock, ausgelöst durch die zwingende Assoziation zu verspritztem, verschüttetem Blut und die mit diesem Befund einhergehende Gewalt ist geeignet, oberflächliche Betrachter abzuschrecken. Wer den Schock nicht übersteht, dem wird der eigentliche Gehalt dieser Bilder verschlossen bleiben. Tritt man nah an eines dieser vermeintlichen Blutbilder, so bemerkt man die minutiöse Malweise, mit der die vordergründige Illusion eines aggressiven Expressionismus erzeugt worden ist. Das Bild erweist sich in der Nahansicht als das Abbild einer Vorlage Svenungsson nennt diese Vorlage ein Modell, und diese Modelle erscheinen ihm so unwichtig oder persönlich wie den Malern früherer Zeiten die Skizzen zu ihren großen Bildern. Dabei sind die Modelle von Svenungsson austauschbar und nicht so zielgerichtet hergestellt wie eine altmeisterliche Ölskizze für ein Gemälde.

Man kann Svenungssons Vorgehen mit den Versuchen anderer Künstler in Beziehung bringen, die dem Gehalt ihrer Werke zu entkommen suchten und ihn neutralisieren wollten. Diese Versuche sind ebenso häufig wie verzweifelt und im Nachhinein meist unvollständig.

Der erste Künstler, der dem Mühlstein der Thematik durch ein besonderes Verfahren entrinnen wollte (die gegenstandslose Malerei lasse ich in diesem Zusammenhang unberücksichtigt, weil sie mit dem Gegenstand auch das Problem beseitigte, um das es hier geht), war Giorgio de Chirico, dessen Weg die von der Verzweiflung motivierte Vervielfältigung seiner frühen metaphysischen Bilder war. Er fand in Andy Warhol ("30 Mona Lisas sind besser als eine"), Allan McCollums Surrogates und Günther Förg (etwa sein Zyklus Stations of the Cross, eine beschleunigte Variation über Barnett Newmans Bilder desselben Titels) Nachfolger, die die Geschwindigkeit der Vervielfältigung radikal erhöhten oder die Arbeit gleich ganz ihren Assistenten überließen. In seiner Reihe von Portraits ein und derselben Person aus der Präsentation im Nordic Arts Centre in Helsinki 1992 scheint auch für Svenungsson die Neutralisierung des Motivs durch seine Vervielfältigung eine wesentliche Triebkraft gewesen zu sein, aber bei seinen Bildern fällt eine Genauigkeit und nahezu meditative Langsamkeit der handwerklichen Ausführung ins Auge, die in jedem Fall mehr mit de Chirico zu tun hat als mit Warhol, ganz zu schweigen von McCollums Surrogates. So langsam und sorgfältig wie Svenungssons Bilder kann kein ironischer Zynismus sein. Svenungsson folgt der Maxime, nie ironisch zu sein, denn Ironie ist Energieverschwendung. Auch diese Bilderreihe ist ambivalent anstelle einer Neutralisierung des Motivs kann auch die Individualisierung das Gemeinte sein, verborgen durch die Wiederholung (2).

Neben seiner Vervielfältigung kann das Motiv auch durch die Einführung einer Art Filter, einer selbstauferlegten Behinderung oder Irritation hinsichtlich seines Sinngehaltes in Frage gestellt oder gar völlig neutralisiert werden (wobei zu fragen wäre, ob eine totale Neutralisierung des Motivs nicht lediglich eine oberflächliche Kritik zufriedenstellen könnte, da nach der Feststellung dieser Tatsache eventuell nichts mehr von Gemälde übrigbliebe außer der dekorativen Sofabildfunktion). Ein Filter für den Sinngehalt eines Motivs wäre etwa der Kopfstand der Motive bei Georg Baselitz.(3) Im Falle Svenungssons ist es die minutiöse Malweise, die die Spontaneität der "Blutspritzer" ad absurdum führt. Ein ähnliches Problem die Aushöhlung der Ausdruckskraft spontan erzeugter Farbspritzer hatte sich Rosemarie Trockel mit ihren RorschachStrickbildern gestellt, und ihre Lösung lag in der mechanischen Übersetzung des Motivs, das von einem Lesegerät eingescannt und in den Stricktomputer eingegeben wurde, der dann das Bild ausführte. Mit dieser Lösung überbot Rosemarie Trockel den früheren Versuch Andy Warhols, RorschachBilder durch eine Vergrößerung in Riesenformate (Blow-ups) zu neutralisieren.(4)

Svenungsson begegnet dem Problem der Neutralisierung der Ausdrucksqualität seiner an Blut erinnernden roten Farbschüttungen und - spritzer in genau entgegengesetzter Weise, indem er mit der Hand arbeitet also weder Warhols Siebdrucktechnik noch Trockels Digitalisierung per Computer einsetzt und dementsprechend auch das Entstehungstempo des Gemäldes nicht erhöht, sondern drastisch verlangsamt. Dennoch wird das Ergebnis offensichtlich eine ähnliche Neutralisierung des Ausdrucksgehaltes seiner Gemälde durch Einführung eines Filters zeitlicher (und unauffälliger visueller) Deformation. Plötzlich wird die Mikrogestik von Svenungssons malerischer Handschrift wichtig, und der Bezug zu seinen früheren Gemälden wird mit einem Schlag deutlich.

Der Blick auf Svenungssons frühere Gemälde rückt die Farbe Rot in ein neues, inhaltlich neutraleres Licht. Die Distanz zum Rot des österreichischen Ausdruckskünstlers Nitsch wird offenbar. In Svenungssons Landschaften von 1991 etwa war die Skala der kalten Rottöne von hellem Rosa bis zum sehr dunklen, zum Violetten neigenden Rot ein Mittel, um die Künstlichkeit der Malerei zu betonen und der Landschaft als Motiv ein distanzierendes Moment zu verleihen. In den "Test"Bildern tendiert die Rolle der Farbe nunmehr zum Illusionistischen daher führte Svenungsson in diese Bilder auch "organischere", wärmere Rottöne wie Karmin und Zinnoberrot ein, die er bis dahin nie verwendet hatte. Dennoch schließt die Farbigkeit dieser Bilder fast nahtlos an die Landschaftsbilder an und trägt neben dem organischen Illusionismus auch ein hohes Maß an Künstlichkeit, das außerhalb des Bildes nicht zu finden ist. In den Bildern wird die Spannung zwischen der schockierenden "Gegenständlichkeit" der Blutspritzer und ihrer inhaltlichen Entwertung durch die Mikrogestik des Malaktes nicht aufgelöst, sondern sie bleibt bestehen und veranlaßt den Betrachter zum andauernden Perspektivenwechsel.

Mit den "Blutbildern", die keine sind, hat Jan Svenungsson einen Weg gefunden, auch heute noch Bilder zu malen in einer Situation, wo Malerei bereits hoffnungslos korrumpiert schien. Wie alle gültigen Bilder sind auch sie gegenständlich, ungegenständlich, ausdrucksgeladen und neutral. Es hängt alles davon ab, wie oft man die Perspektive wechselt.

Kay Heymer, Essen, 06.11.1993