Jan Svenungsson

"...we all fall down – Alex Rizkalla im Gespräch mit Jan Svenungsson",
in: Be, # 4, 1996


Jan Svenungsson: Hältst Du es für möglich, daß man die Leute durch Kunst etwas lehren kann?

Alex Rizkalla: Nein. Nichts Spezielles, doch ich glaube, daß sich die Aufmerksamkeit des Betrachters auf ein bestimmtes Thema lenken läßt.

J – Was kann ein Kunstwerk beinhalten?

A – Einfach ausgedrückt, lassen sich zwei Begriffe unterscheiden; Homologische Kunst und Heterologische Kunst. Homologisch ist Kunst, die sich auf sich selbst und ihre eigene Geschichte bezieht; der Begriff heterologische Kunst umfaßt verschiedene künstlerische Praxen, die leidenschaftlich und ganz speziell mit etwas befaßt sind, das sich nicht direkt auf Kunst bezieht, das aber in einer künstlerischen Struktur zum Ausdruck gebracht wird.

J – Und was ist mit didaktischen Prozessen ... ?

A – Um den Standpunkt einzunehmen, eine Arbeit könne den Leuten etwas über X, Y oder Z mitteilen, muß man wirklich überzeugt sein, daß dieser vermittelte Inhalt absolut richtig ist. In dieser Position habe ich mich schon seit Jahren nicht mehr befunden. Es fällt mir nur ein Künstler ein, der dazu in der Lage ist, und das ist Hans Haacke.

J – Ist das überhaupt eine mögliche Haltung, die Antwort schon parat zu haben und dann das Kunstwerk erst zu machen, welches den Betrachter schließlich zu exakt dieser Antwort führen wird? Kann eine solche Arbeit reizvoll sein?

A – Nein, genau darüber habe ich mich bereits mit anderen Leuten unterhalten, denn ich arbeite mit Projekten die als antifaschistisch definiert worden sind obwohl sie eigentlich doch wesentlich komplizierter sind, als sie durch diese Bezeichnung erscheinen. Ich bin gegen den Staat! Ich traue seinen Absichten nicht und ich sehe den Staat nicht als Repräsentanten des Volkes an. Meine Projekte versuchen, die Mechanismen aufzuzeigen mit denen die Masse kontrolliert wird. Gleichzeitig haben sie ihren Ursprung in einer Unsicherheit, da ich dem Volk ebensowenig trauen kann.

J – Hast Du jemals Gegenstände in Deine Projekte integriert die eine eindeutige Faszination für den Faschismus suggerieren?

A – Meine Projekte richten sich eindeutig gegen den Faschismus, der Umgang mit dieser Thematik ist weniger aus einer Faszination, als aus meiner eigenen Geschichte heraus zu erklären; aus unterschiedlichen soziopolitischen Gründen bin ich immer wieder von einem Land zum anderen gezogen und letztendlich ein Außenseiter und ausgegrenzter Immigrant geblieben. Ich habe mich eigentlich immer fremd gefühlt, und meine Arbeit mit Junkies und anderen gesellschaftlichen Randfiguren als Sozialarbeiter, womit ich mir meinen Lebensunterhalt verdiene hat mit Sicherheit ebenso dazu beigetragen. Es geht hier nicht spezifisch um den Faschismus vor und während des zweiten Weltkrieges, sondern um eine Ideologie der Ausgrenzung.

J – Dennoch hatten die Sachen in Deiner Installation hier im Bethanien alle eine eindeutige Patina, vieles sah so aus, als ob es aus den dreißiger Jahren käme. Zielt die Installation dadurch nicht auf die besondere Geschichte Deutschlands ab?

A – Ich arbeite mit dem Ort, an dem ich mich befinde und ich sammle das, was da ist. Offensichtlich entstand der »deutsche? Inhalt aus dieser Situation heraus. Außerdem bin ich der Auffassung, daß ein Gegenstand um so mehr eine gewisse Anonymität bekommt, je älter er ist; er ist dann offen für vielfältige Lesweisen. Den Vorwurf, daß es sich hier ausschließlich um deutsche Geschichte handelt, kann ich nicht akzeptieren. Wenn ich über Völkermord sprechen wollte und als Beispiel Nigeria anführen würde, dann würden die Leute wahrscheinlich sagen, jaja, das ist Afrika, aber diese Dinge passieren doch nicht im Westen ...

J – Nigeria ist heute. Angenommen Du würdest Nigeria als Material für ein Projekt benutzen, dann hättest Du es meiner Meinung nach mit einer wesentlich komplizierteren und komplexeren Situation zu tun, da noch keine definitive Geschichtsschreibung darüber existiert. Nenn Du Dich aber mit Faschismus beschäftigst und Deutschland als historische Referenz verwendest, dann bewegst Du Dich auf ziemlich sicherem Parkett. Eine andere Sache wäre es selbstverständlich, wenn du mit diesem Material aus einer faschistischen Position heraus gearbeitet hättest...!

A – Was ich spannender finde, ist die Psychologie damals und die Psychologie heute, die wahrscheinlich eine solche Situation wiederherstellen könnte. Ich will das Verhältnis zwischen dem Staat und unseren Körpern untersuchen. Es ist ein wesentlich universelleres Thema, das sich damit befaßt, wie jeder Staat, jede Autorität, bestimmte psychologische Fäden ziehen und die Menschen zu Reaktionen bewegen kann; eine Art »social engineering?.

J – Es ist das erste Mal, daß Du ein Projekt außerhalb Australiens realisiert hast. Wie hast Du die Resonanz gefunden?

A – Bei all meinen Projekten erhoffe ich mir als Ergebnis eine Art von dialektischem Austausch mit dem Publikum. Oftmals bin ich dabei auf besonders interessante Dinge gestoßen, die auf Geschichte hinweisen und die dann wieder in das Projekt einfließen. Ich erhoffe mir, daß die Anregungen der Betrachter mich und meine Arbeit anreichern. All das ist hier eigentlich nicht vorgekommen, das war enttäuschend Die meisten Leute haben sich auf die Ästhetik fixiert. Es ist kein großartiger Dialog entstanden, und das würde ich als Mißerfolg betrachten.

J – Kannst Du im nachhinein sagen, was falsch gelaufen ist?

A – Vielleicht ist einer der Gründe daß die Betrachter hier dem Gegenstand zu nah sind es war so klar, zu welchem Teil ihrer eigenen Geschichte die Ausstellung gehörte; darüberhinaus hat eigentlich keine Diskussion stattgefunden.

J – Ein problematischer Punkt an der Ausstellung ist meiner Meinung nach Deine Vorgehensweise der Akkumulation; mit jedem weiteren Gegenstand glaubetest Du ein Stück Bedeutung mehr hinzuzufügen, und diese Methode kehrte sich an einem gewissen Punkt ins Gegenteil um.

A – Ich fülle den Raum immer. Ich sammle ständig viele unterschiedliche Dinge. Im traditionellen akkumulativen Museum betrachtest du einen Gegenstand zuerst und dann beginnst du mit der Arbeit.

J – Glaubst Du wirklich, daß sich diese Situation als künstlerische Strategie nachahmen läßt?

A – Ja genau das versuche ich, weil eine Vielzahl von Objekten eine offene Lesweise möglich machen. Auf die Art kann sich der Betrachter mit einigen Gegenständen einlassen und andere widerum ignorieren. So wird man angehalten, weiter an einer Sache zu arbeiten, weiter zu denken und weiter zu gucken, man begibt sich eben nicht in eine didaktische Position.

J – Doch diese Strategie beinhaltet, daß Du Dich selbst aus dem Plan heraushältst. Du bedienst Dich der Struktur eines Museums, einem vormals anonymen Ort für Sammlungen, die von anonymen Sammlern zusammengetragen worden sind. Kann man denn einerseits anonym bleiben und andererseits relevante Kunst produzieren?

A – Das würde ich schon sagen. Relevanz ist nicht eine Frage der Persönlichkeit. Das, was von mir in einem Projekt steckt, ist mein Interesse an Museen und am Sammeln sowie Fragmente persönlicher Geschichte, die mit einfließen. Das ist es aber nicht, was ich thematisieren will.

J – Mir fehlt einfach etwas bei diesem Projekt; es ist nicht möglich, in die Ausstellung zu gehen, und die Probleme, mit denen Du als Person zu tun hast, im Kontext dieser Inhalte zu erkennen.

A – Eigentlich will ich wirklich nicht darüber sprechen, wie schrecklich es war, als ich vor 30 Jahren nach Australien kam, als Immigrant, der kein Englisch sprach; wie schwierig es war, in ein fremdes Land zu kommen und sich ein Leben aufzubauen. Das ist es, was ich erlebt habe, aber ich habe kein Problem damit. Diese private Ebene interessiert mich nicht. Ich will eine universellere Auseinandersetzung, nicht eine, die von mir handelt.

J – Wodurch ist Dein Interesse an museologischen Strategien ursprünglich ausgelöst worden?

A – Als ich noch gemalt habe, schien es mir, als ob die Malerei die Erzählung verschleiern würde. Indem ich dann Objekte benutzte, die einem allgemeineren Vokabular angehörten, fand ich heraus, daß ich das Subjekt nun so behandeln konnte, daß die Arbeit selbst die Erzählung nicht vollkommen verdecken würde.

J – Aber beruht diese Strategie nicht auf der Tatsache, daß Du die Erzählung schon mit Deinem Publikum teilst, bevor es tatsächlich mit dem Gegenstand konfrontiert worden ist? Denk doch mal an Duchamps Readymades der Künstler greift sich etwas heraus und benennt es um, und daraufhin verändert es seine Bedeutung. Im Gegensatz dazu veränderst Du die Bezeichnung eines Gegenstandes nicht. Du präsentierst ihn und glaubst, der transportierte Inhalt sei nach wie vor der selbe. Ist das nicht paradox?

A – Duchamp war homologisch, er hat sich mit Kunstfragen beschäftigt. Meine künstlerische Praxis hingegen dreht sich nicht um das Readymade als solches, sondern um ein objektgestütztes Vokabular. Meine Auswahl identifiziert das Thema. Den Rest überlasse ich dem Betrachter und seinen gesammelten privaten Erinnerungen.

J – Hast Du nicht mal ein Projekt in einem richtigen Museum gemacht...?

A – Ja. die Idee des Museums als Bibliothek gefällt mir außerordentlich, du gehst hinein und konzentrierst dich auf etwas was dich interessiert dieses etwas wird dir nicht serviert die Arbeit des Suchens mußt du schon selbst leisten. Das Projekt am Victoria Museum hat mir besonders gut gefallen, weil es sich eben nicht um eine Kunstinstitution handelte, sondern um ein natur und sozialhistorisches Museum mit angeschlossener Bibliothek. Täglich sind Hunderte von Menschen durch meine Installation gelaufen; sie kamen rein und haben sich nach etwas umgesehen und sie waren gefangengenommen von der Idee zu »denken?. Das ist das eigentliche Publikum, mit dem ich es zu tun haben will. Meine Arbeit dort bestand darin, daß ich mir alle Formalien des Museums und der Bibliothek vornahm und sie nach von mir entworfenen taxonomischen und alphabetischen Ordnungssystemen strukturierte, ich integrierte dabei auch die alten Kabinette und Vitrinen, die ich aus dem Lager des Museums holte. Jeden Ordnungsbuchstaben kombinierte ich mit einem von mir ausgewählten Wort, dabei handelte es sich um ziemlich aufgeladene Begriffe wie z.B. Genozid oder Entfremdung. Einzelne Worte, mit denen viele unterschiedliche Themen angesprochen werden; diese habe ich dann wiederum mit Gegenständen kombiniert. Ich wollte das Wort an einem symbolischen Objekt festmachen, wie ein Auslöser von Erinnerungen.

J – Die Besucher sind also mit der Absicht gekommen, das Museum zu besuchen und fanden sich dann unerwartet in einer Situation wieder, die zum Teil aus dem Museum und zum Teil aus Deiner Installation bestand. Ich glaube, das dürfte die ideale Situation für Deine Arbeit sein, weil es unumgänglich scheint, eine gewisse Perversion mit einzuschließen oder...

A – ...wohl eher Subversion. Es geht um die Unterbrechung linearer Lesweisen und die Schaffung von Interpretationen auf abweichenden Wegen. Das ist das Labyrinth über das Bataille spricht. Innerhalb des Labyrinths ist man am Leben mit all seinen Erfahrungen; einmal draußen ist man am Ende.

J – Was soll denn Dein Titel...we all fall down bedeuten?

A – Eben, daß wir alle stürzen. Zum Schluß verwesen die Körper. Die Macht des Staates operiert immer mit der Angst zu fallen der Angst vor dem Tod der Angst vor Krankheit. Die Angst wird ständig eingesetzt um bestimmte Ideen durchzudrücken. Deshalb sage ich: wir sind alle vergänglich alles ist irrelevant Ich habe keine absoluten Prinzipien. Im Grunde traue ich nichts und niemandem.

Jan Svenungsson
(
Übersetzung: Annette Sievert)